Donnerstag, 17. November 2016
Am heutigen Donnerstagabend hat die Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters, in München den Deutschen Kurzfilmpreis verliehen. Die Hochschule für Fernsehen und Film München war in diesem Jahr Gastgeberin und Kooperationspartnerin.
Kulturstaatsministerin Grütters erklärte: „Seine außergewöhnlichen erzählerischen, dramaturgischen und gestalterischen Mittel machen den Kurzfilm zu einem ebenso avantgardistischen wie anspruchsvollen Filmgenre. Denn gerade die kurze Form fordert das künstlerische Talent: Es braucht subtile Andeutungen, Metaphern, Symbole, ja eine eigene Bildersprache, um auf kleinstem Raum eine ganze Welt heraufzubeschwören. Nicht umsonst gilt der Kurzfilm als eigenständige Kunstform für etablierte Könner. Es zeugt aber auch von der exzellenten Ausbildung in Deutschland, dass Studentinnen und Studenten unserer Filmhochschulen - wie zuletzt beim Studenten-Oscar - international in der ersten Liga dieses Genres mitspielen.“
Monika Grütters weiter: “Die Verwertungsmöglichkeiten für Kurzfilme sind leider begrenzt. Umso wichtiger ist es, dass die Bundesregierung den Kurzfilm im Rahmen der kulturellen Filmförderung unterstützt. Auch das neue Filmförderungsgesetz stärkt dieses Genre: Künftig sollen Kurzfilme mit einer Länge von unter einer Minute gefördert werden können. Auf dass großartige Kurzfilme es auch auf die großen Kinoleinwände schaffen und noch mehr verdiente Aufmerksamkeit bekommen!“
Der Kurzfilmpreis in Gold für Spielfilme mit mehr als 7 bis 30 Minuten ging an den Film „Und ich so: Äh“. Herstellung: Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF, Regie: Steffen Heidenreich, Drehbuch: Jörn Zander.
Der Kurzfilmpreis in Gold für Spielfilme bis 7 Min. Laufzeit ging an „HOMEWORK“. Herstellerin: Annika Pinske , Co-Produzentin: dffb Berlin; Regie: Annika Pinske.
In der Kategorie Dokumentarfilm ging der Kurzfilmpreis in Gold an „Kaltes Tal“. Hersteller: Stephan Helmut Beier, Ray Peter Maletzki (Rosenpictures); Regie und Drehbuch: Johannes Krell, Florian Fischer.
In der Kategorie Animationsfilm gewann den Kurzfilmpreis in Gold „Ein Aus Weg“. Produzentin: Caroline Kox (paradies); Regie: Simon Steinhorst, Hannah Stragholz; Drehbuch: Max Pross, Antonio De Luca.
Der Kurzfilmpreis in Gold in der Kategorie Experimentalfilm wurde in diesem Jahr an „Ocean Hill Drive“ vergeben. Herstellung: Kunsthochschule für Medien Köln; Regie und Drehbuch: Miriam Gossing, Lina Sieckmann.
Der Sonderpreis in Gold wurde an den Film „Agnosis“ verliehen. Herstellerin und Regie: Anita Müller.
Die Begründungen der Jury sind nachfolgend aufgeführt. Von 281 Vorschlägen waren insgesamt 12 Filme nominiert.
In der Kategorie Spielfilm mit mehr als 7 bis 30 Minuten Laufzeit waren neben den prämierten Beiträgen folgende Filme nominiert:
„A Quiet Place“, Hersteller, Regie und Buch: Ronny Dörfler;
Co-Produzenten: 111 Film Bukarest; Cutare Film, Bukarest
„Aussetzer“, Hersteller: Alexander Mayer, Christoph Behr (hadifilm), München, Co-Produzenten: Bayerischer Rundfunk, Hochschule für Fernsehen und Film München; Regie: Benjamin Vornehm; Drehbuch: Christine Heinlein, Felisa Walter.
„Mayday Relay“, Herstellung: Filmakademie Baden-Württemberg; Regie und Drehbuch: Florian Tscharf.
„SIMPLY THE WORST“, Hersteller, Regie und Drehbuch: Johannes Kürschner, Franz Müller (makivisual), Dresden.
In den anderen Kategorien waren folgende Filme nominiert:
Kategorie Animationsfilm:
„Heimaturlaub - Aus dem Skizzenbuch eines Astronauten“, Hersteller, Regie und Drehbuch: Prof. Franz Winzentsen, Kutenholz.
Kategorie Experimentalfilm:
„Rohdiamanten“, Herstellerinnen: Lena Weckelmann, Caroline Meyer (Meyer & Weckelmann), Co-Produzent: Hochschule für Fernsehen und Film München; Regie und Drehbuch: Jakob Defant, Felix Herrmann.
Kategorie Dokumentarfilm:
„TEHRAN DERBY“ , Herstellung: Filmuniversität Babelsberg; Regie und Drehbuch: Simon Ostermann.
Durch die Preisverleihung führte der Moderator und Schauspieler Alexander Mazza.
Der Deutsche Kurzfilmpreis ist der bedeutendste und am höchsten dotierte Preis in diesem Genre in Deutschland. Am heutigen Abend wurden Prämien von insgesamt 275.000 Euro vergeben.
Die Produzenten der Filmpreise in Gold bekommen je eine Prämie von 30.000 Euro. Eine Nominierung ist mit 15.000 Euro Prämie verbunden. Dieser Betrag wird auf den Filmpreis in Gold angerechnet. Die Prämie für den Sonderpreis beträgt 20.000 Euro.
Alle Gewinner müssen ihre Prämien zweckgebunden verwenden: für die Herstellung eines neuen Kurzfilms, für die Produktion eines Films mit künstlerischem Rang oder dessen Projektvorbereitung.
Auf der „Kinotournee Deutscher Kurzfilmpreis“ werden alle nominierten und ausgezeichneten Filme im kommenden Jahr deutschlandweit in kommunalen Kinos präsentiert www.kurzfilmtournee.de.
Informationen zum Deutschen Kurzfilmpreis 2016 finden Sie unter www.deutscher-kurzfilmpreis.de.
Begründungen der Jurys Deutscher Kurzfilmpreis
„Und ich so: Äh“
Köstlich amüsiert folgen wir den alltäglichen Herausforderungen des Taxifahrers Klaus Grill, gespielt vom großartigen Hermann Beyer, der im Rückspiegel seine skurrilen Fährgäste beobachtet – teils augenzwinkernd, teils staunend. Auf der Rückbank tummelt sich eine illustre Gesellschaft, bis sie vom Taxifahrer selbst in einem vortrefflichen Rap-Song karikiert wird. „Und ich so: Äh. Und er so: Hmm. Gib das Geld her! Das ist mein Geld…“ Doch das kurzweilige Filmvergnügen nimmt schon bald eine geniale, dramaturgische Wendung. Wenn der Fährmann des Todes in Gestalt eines Limousinen-Chauffeurs zur letzten Fahrt einlädt, gehen philosophische Fragen unter die Haut und ein ergreifendes Finale trifft uns mitten ins Herz.
Der Regisseur Steffen Heidenreich hat einen beeindruckenden Film inszeniert, den nuancenreiche Spielfreude, unwiderstehliche Filmmusik und eine saftige Portion Gesellschaftskritik auszeichnen. So präsentiert sich erstklassiges Schauspielerkino voll emotionaler Kraft.
„HOMEWORK“
Ein Springseil saust durchs Bild, dann folgen Liegestütze. Während der junge Mann sein vermeintliches Fitnessprogramm absolviert, schmeißt ihm das Mädchen ein Schulbuch unter die Nase: Englischhausaufgaben!
Mit der raffiniert eingesetzten Deklination „He, She, It love(s) life“ beginnt eine feinsinnige Inszenierung in einer bizarren Szenerie. Ein kleiner Spalt im glitzernden Bühnenvorhang erlaubt dem Mädchen, einen verstohlenen Blick auf die nächtliche Welt zu werfen, in die sich ihr Vater allabendlich begibt. Kleine Lügen werden den beiden helfen, ihr Geheimnis vor der Mutter zu bewahren.
Eingebettet in ein spannendes, fast rätselhaftes Setting und abseits der üblichen Familienklischees illustriert die Regisseurin eine liebevolle Vater-Tochter-Beziehung. Mit assoziativen Bildern, zart angedeuteten Gesten und minimalistischen Dialogen verführt Annika Pinske die Zuschauer, HOMEWORK mit eigenen Gedanken zu bereichern, um die Geschichte weiterzuerzählen. Großartiges Kino in komprimierter Form!
„Kaltes Tal“
Die beiden Filmemacher Johannes Krell und Florian Fischer beschäftigen sich in ihrem Dokumentarfilm „Kaltes Tal“ mit dem ambivalenten Verhältnis von Mensch und Natur. In ruhig montierten und gemäldeartigen Bildern erzählen sie von einem Ort, an dem der Mensch die Natur gleichzeitig zerstört und versucht zu retten. Kalkstein wird der Erde entrissen und dann über Wald und Boden verteilt. Die Filmemacher beobachten diesen paradoxen Vorgang, ohne ihn zu kommentieren. Mit ruhigen, meisterhaft fotografierten Einstellungen zeigen sie eine eigenartige von Kalk bedeckte Welt, die zugleich verstörend und schön ist. Steht das Weiss des Kalksteins für Reinheit oder symbolisiert es ein Leichentuch? „Kaltes Tal“ kommt ohne ein einziges gesprochenes Wort aus. Gerade deswegen erzeugt der Film einen hypnotischen Sog. Es entsteht eine mehrdeutige Metapher auf den Zustand der Welt, die durch die konsequente Reduktion der filmischen Mittel noch verstärkt wird. „Kaltes Tal“ wirft Fragen auf, löst tiefe Assoziationen aus und schafft nachhaltige Verunsicherung. Ein dokumentarisches Kunstwerk.
„Ein Aus Weg“
Der Knast? „Urlaub vor mir selber“. Die gestellte Sozialprognose: „Noch nicht weit genug unten.“ Irgendwer ist immer noch weiter unten. In diesem Knast. In diesem Leben. Dieses Leben, das so eng und hermetisch ist wie die Zelle. In nervig flackernden Linien wird der Zuschauer zum Hinschauen gezwungen. Auch wenn die Einstellungen wechseln, weicht das beklemmende Gefühl nicht, denn die kraftvollen handanimierten Bilder führen die vermeintliche Nähe zur Geschichte des inhaftierten Alex K. ad absurdum. Die Animation ist kontradiktorisch, wechselt zwischen konkreten Beschreibungen der Gefängnissituation und abstrakten Utopien einer tief gestörten Gesellschaft. Dabei verstärkt die gekonnt eingesetzte Variation der Animationsstile und Techniken die Diskrepanz zwischen Selbstwahrnehmung des Erzählers und der Außensicht weiter. Hier steht das exemplarische Schicksal des Einzelnen ebenso für die überforderte Gesellschaft per se. Und auch der Polizist, der ihn weggesperrt hat, weiß, dass er am Ende niemandem hilft, nur der Statistik. Die Gesellschaft macht Urlaub von sich selber – und der Film hat die Jury nachhaltig beeindruckt.
„Ocean Hill Drive“
Es ist Nichts. Nur ein paar flickernde Schatten. Ganz so, als klimpere das Tageslicht mit überlangen Wimpern. Eine winzige Verrückung im Sichtbaren, und doch wirkt sie so massiv bedrückend und verunsichernd, dass wir visuell nachspüren können, welches Phänomen die Bewohner dieser Häuser in einem namenlosen Vorort irgendwo bei Boston die Flucht ergreifen ließ. Eine Folge fehlplatzierter Windturbinen, heißt es in der Synopse. Die Filmemacherinnen Miriam Gossing und Lina Sieckmann haben aus diesen mysteriösen Vorfällen und den Legendenbildungen ängstlicher Einwohner einen wunderschönen, konzeptionell überzeugenden experimentellen Dokumentarfilm gesponnen. Sie streifen in ruhigen, saugenden Bildern über irritierte Oberflächen, schauen durch Fliegengitter, Fenster und Stoffe in die Textur einer subkutanen Angst. Verlassene Interieurs und leergeräumte Straßenansichten laden sie kunstvoll mit den Überhöhungen des und der Verdrängten auf. Dafür haben die beiden und ihr Film „Ocean Hill Drive“ die Lola für den besten experimentellen Kurzfilm verdient.
„Agnosis“
Ein Student in Odessa steigt am orthodoxen Weihnachtstag 2012 in die ihm vertrauten Katakomben eines ehemaligen Bergwerks hinab, um dort zu meditieren. Seitdem ist er spurlos verschwunden. Anita Müllers Film „Agnosis“ lässt unterschiedliche Personen zu Wort kommen und Vermutungen über die Umstände dieses Verschwindens anstellen. Was „Agnosis“ aber über einen konventionellen Dokumentarfilm weit herausragen lässt, ist, dass Anita Müller durch ihre Bildsprache Raum in den Gedanken und Vorstellungen der Zuschauer zu öffnen vermag. Mit den Mitteln sowohl des Dokumentar- als auch des Experimental- und des Animationsfilms sowie letztlich der Bildenden Kunst setzt Anita Müller bei uns Zuschauern selbst eine meditative Reflexion in Gang, sich einem, bis zum transzendentalen stilisierten Rätsel zu stellen, das letztendlich gar nicht aufgelöst werden will, sondern als mythisches Geheimnis eine ganz eigene Magie entfaltet. Und genau das ist Anita Müller gelungen: filmische Magie.